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DAS MÄRCHEN
VON DEN DREI WASSERFRAUEN
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Der große
Wassergeist, der alles was fließt, durchstreift, hatte einst
drei Wasserfrauen zu sich gerufen und sie um Hilfe gebeten für
seine bedrohten Gewässer und um alles, was in ihnen lebte und
atmete durch Kiemen und Nüstern und um alles Gefiederte, das
auf den Wassern schwamm und gründelte.
Sie trafen sich am Lieblingsplatz des Geistes, einem in Ruhe gelassenen
Gewässer, einem alten Kanal, der verbunden war mit den Flüssen,
in denen die Wasserfrauen lebten. Vom Rhein, von der Donau und dem
kleinen Flüsschen Blau, das in die Donau mündet, kamen sie,
fanden sich ein unter einer alten, hinfälligen Weide mit bergendem
Wurzelwerk und weichem Blätterbart in der Mitsommernacht, als
die Unkenglocke läutete. "Nun", sagte der Wassergeist,
"erzählt, was ihr erlebt, erlitten und erfahren habt."
Undine: "Leicht und strömend trieb mich unser wechselhaftes
Element von der Donau her in den alten Kanal, wo das Wasser noch weich,
schmeichelnd und ohne Unheil ist. Vor langen Zeiten sehnte ich mich
heraus aus den Wassern. Mein Vater, der Wasserkönig im Mittelländischen
Meer, "wollte höher als er stand", strebte nach einer
menschlichen Seele, die wir Wassergeister nicht haben und nur durch
die treue Liebe eines Menschen erringen können. Auch mir hatte
er diese Sehnsucht eingepflanzt und schickte mich in die Nähe
der Menschen. In der Donau herrschte mein Onkel, der Wasserfürst
Kühleborn, ein strenger, alter Geist, der die Menschen hasste
und unser Sehnen verachtete.
Ich lebte in einem Nebenarm der Donau, umgeben von einem Zauberwald;
spielend, sorglos und wartend verbrachte ich dort meine Zeit, mal
im Wasser bei Nixen, Lachsen und Forellen, mal am Land bei einem alten
Fischerpaar, das mich liebte.
Eines Tages verirrte sich durch den Zauberwald der Ritter Hans zu
uns, schön, einfältig und liebenswürdig war er. Ich
verfiel ihm und der Liebe und verzauberte ihn durch meine Schönheit,
dass er seine Ritterwelt vergaß, mich zur Frau wollte und mir
ewige Treue schwor. Der alte Fischer, der mein wahres Wesen ahnte,
warnte Hans. "Es ist die große Kraft der Natur um Undine.
Wohl hat die Natur eine Schwäche für den Menschen. Etwas
an ihm bestrickt und erheitert sie. Aber wenn der Mensch ein einziges
Mal der Natur missfallen hat, ist er verloren."
Mich aber warnten mein Onkel Kühleborn und meine Schwestern,
die Nixen. Sie wussten um die Schwächen der Menschen, die in
anderen Strömungen leben, anderen Mächten gehorchen, das
Unergründliche und Durchsichtige, das Fließende und Verschwebende,
das uns umgibt, auf die Dauer nicht ertragen können. Ich musste
einen furchtbaren Pakt mit den Wassergeistern schließen. Wenn
er mir untreu würde, müsste Hans sterben und ich als Fremde
wieder in die Wasserwelt zurückkehren. Fremd, weil ich unsere
Welt verraten hatte, um einen Menschen glücklich zu machen.
Ich zog mit Hans als seine Frau auf das Schloss des Königs an
den Ufern der Donau. Am Hofe sollte ich die Welt der Lügen lernen,
doch mein "einziger Hofmeister war die Natur gewesen". Hans
schämte sich meiner, ihm war die Hofwelt vertraut, er verfiel
wieder Glanz, Macht und Eitelkeit und seinen alten Gewohnheiten. Er
vergaß, was ihn zu mir getrieben und was er versprochen hatte.
Wichtig wurde ihm wieder Berta, das Hoffräulein, das er vor mir
geliebt hatte. Um Hans zu retten, der mich kränkte, verriet und
mir untreu wurde, klagte ich mich selbst der Untreue an. Aber ich
täuschte die Wassergeister nicht. Der Pakt erfüllte sich.
Erst als Hans um seinen Tod wusste und um unseren Abschied für
immer, ahnte er etwas von der großen Seele, die in der Natur
lebt, und kam ihr nahe, ehe er starb. Mich holten die Wassergeister
zurück in die Donau.
Wissend und leidend lebe ich dort tief unten in einem stillgelegten
Nebenarm; denn unser Element ist nicht mehr klar und durchsichtig;
trüb, vergiftet und verseucht treibt der große Fluss dahin,
und nur wenig Lebendes ist noch in ihm. In meinem kleinen Bereich
ziehe ich Wasserpflanzen auf: Farn, Fenchel, Hanf, Kalmus und Minze,
auch den giftigen Schierling, mische die Säfte und heile die
verletzten Tiere, die zu mir kommen, alle die Fische, die Ottern,
Biber, Schlangen, Frösche, Krebse und Unken. Ich kann nicht allen
helfen, aber eine Hoffnung lebt in mir, dass sich eines Tages die
Menschen von den falschen Mächten abwenden, die Verderben bringen
und unser Element und sich selbst retten.
Melusine: "Wie sich unsere Schicksale gleichen, Undine. Ich komme
aus dem Rhein. Dort lebte ich mit meinen zwei Schwestern glücklich
in unserem Schloss aus Korallen und Muscheln, bis zu dem Tag, als
ich an einem Brunnen den Grafen Raimund schlafend fand. Ich verliebte
mich in ihn, und er sah im Traume mein Bild und konnte es nicht vergessen.
Wir trafen zusammen, waren einander verfallen und schworen uns ewige
Treue. Meinen Schwestern rief ich zu: "Auf eurer Zauberburg ist's
mir zu kalt, in wärmeren Armen will ich liegen!" und verschloss
mich ihren Warnungen: "Falsch ist der Mensch und treulos, ihn
reut, was er verspricht, trau den Menschen nicht!"
Sie sollten Recht behalten. Auch Graf Raimuno verlangte in sein gewohntes
Leben zurück, nach Kampf, Ruhm und Ehre. Mein Geheimnis, dass
ich an einem Tag der Woche von ihm fernbleiben und wieder Wasserfrau
werden musste, hat er durch Neugier, Zweifel und Misstrauen zerstört,
sein Versprechen gebrochen und mich verflucht. Zu spät erkannte
er, dass er mir verfallen war und verlangte den tödlichen Kuss.
Auch ich sitze jetzt einsam an einer verborgenen Stelle des Rheins,
der sich unrein, krank und schwerfällig dahinschleppt. Zu mir
kommen die Wasservögel, die verletzten, flügellahmen, die
Wildenten, Wasserhühner, Singschwäne und Reiher, deren Gefieder
verklebt ist und die sterben müssten. Ich heile sie mit einem
Wunderwasser, das ich mit meinen Schwestern braue."
Die schöne Lau: "Traurig waren eure beiden Geschichten,
liebe Schwestern, und sehr fröhlich ist auch euer jetziges Leben
nicht. Was trieb wohl Menschen und Elementargeister zueinander und
ins Unglück?"
Undine und Melusine: "Vielleicht dieselbe Sehnsucht, die nach
dem Unerreichbaren. Wir Wassergeister leben an der Grenze zwischen
Mensch und Natur, sehnen uns nach einer Menschenseele, haben aber
die Unschuld und die Verbindung zur Natur noch nicht verloren. Die
Menschen spüren in uns die Natur, die sie verloren haben."
Schone Lau: "Nun hört meine Geschichte, die nicht so traurig
ist. Obwohl ich die Traurigkeit auch kannte.
Eine Schwermut, die niemand verstand und die niemand vertreiben konnte.
So groß war meine Schwermut, dass ich meinem Mann, einem alten
Donaunix, mit dem ich im Schwarzen Meer lebte, nur tote Kinder gebar.
Meine Mutter war eine Menschenfrau gewesen, deshalb hatte ich auch
Menschengestalt und nur zwischen Fingern und Zehen zarte Schwimmhäute.
Meine Schwiegermutter, die alte, kluge Wasserhexe, weissagte mir,
dass ich fünfmal von Herzen lachen müsste, um ein lebendes
Kind zu gebären. Mein alter Donaunix aber verlor die Geduld und
verbannte mich, bis ich das Lachen gelernt hatte.
Ein seltsamer Ort war es, Blautopf genannt. In einem großen
Kessel war ein wundersamer Duell gefangen, "der sein Flüsschen
gen Morgen gegen die Donau sendet". Das Quellwasser aber war
von einem märchenhaften Blau, wie eine Schwefelflamme. Das Flüsschen
hieß deshalb die Blau und das Städtchen Blaubeuren. In
diesem Quoll lebte ich nun mit meinen Wasserfrauen, die auf Entenfüßen
gingen, in einem schönen Palast, und alle taten mir, was sie
konnten, zur Freude. Aber zum Lachen brachten sie mich nicht.
Ein geheimer Gang führte von meinem Schlafraum in den Keller
der Klosterwirtschaft, wo ein offener Brunnen stand. Eines Tages traf
ich auf die Wirtin Beta, eine brave, freundliche Frau, mit wohlgerundeten
Formen, die Wein aus dem Keller holte.
Ohne Angst lud sie mich in ihr Haus ein und gerne folgte ich ihr.
Die Tochter Jutta lieh mir ihre Kleider; als sie meine Füße
trocknete und die Sohlen berührte, musste ich laut lachen. Oft
saß ich auch auf dem Brunnenrand des Blautopfs und schaute Frau
Beta zu, wie sie im Garten wirkte mit hoch geschürzten Röcken.
Auch der dicke Abt vom Kloster gegenüber sah das gern und kam
näher zum Zaun. Nun war eine Feindschaft zwischen uns, denn die
frommen Klosterbrüder mögen uns Wasserfrauen nicht.
Da schickte ich meine dickste, hässlichste Kröte auf den
Weg, die ihm über die Füße sprang. Er erschrak so
sehr, dass ihm ein gotteslästerlicher Fluch Über die Lippen
kam. Wir beiden Frauen lachten von Herzen, und er sprang mit fliegenden
schwarzen Röcken dem Kloster zu.
Ich wurde bald täglicher Gast bei Frau Beta und ihren Frauen,
wenn sie spannen, sangen, lachten und wundersame Rätsel und Geschichten
erzählten. Legenden, dass ihre kleinen Kinder aus dem Wasser
kommen. Ich erfuhr kein Leid durch die Menschen, die Frauen lehrten
mich Lachen.
Es ist das köstlichste Gut, das die Menschen haben.
Das 5. Mal lachte ich, als mich der Klosterkoch im Traume küsste.
Aber das erzählte ich niemandem.
Der Abschied von den Menschenfrauen fiel mir schwer. Als Dank, dass
sie mir die Heiterkeit geschenkt hatten, gab ich ihnen einen wundersamen
Zauberspiegel. Die alte Meerhexe, die von Vergangenem und Zukünftigem
wusste, hatte ihn mir überreicht. Er zeigte auf der einen Seite
in wechselnden Bildern Meere und Flüsse, wie sie die Erde einst
trug, als die Menschen noch Ehrfurcht vor den Elementen hatten. Die
Rückseite zeigte die Zukunft, die nahe und die ferne, und es
waren schlimme Bilder. Dann holte mich mein Wassermann zurück.
Ich bekam lebende Kinder, zog sie groß und langweilte mich danach
mit meinem alten Nix im Meer. Im Traum hörte ich eine Stimme:
"Wer zu den Quellen will, muss gegen den Strom schwimmen."
Da wusste ich, was mir fehlte. Ich ließ mich vom Meer zur Donau
und von der Donau zur Blau treiben und tauchte in den Blautopf ein.
Noch gibt es den Keller mit dem alten Brunnen. Manchmal sitze ich
nachts auf dem Rande des Blautopfs, Aber die Welt ist verwandelt,
keine Dunkelheit und Stille sind mehr um mich. Hell und voller Lärm
ist auch die Nacht. Mein Zauberspiegel aber ist berühmt geworden
im ganzen Land. Und es soll ähnliche Spiegel geben, die noch
grausamere Bilder zeigen, die Wirklichkeit geworden sind. So wie Ihr,
Undine und Melusine, von Donau und Rhein erzählt habt, soll es
auf allen Flüssen und Meeren der Welt aussehen. Woher soll Rettung
kommen, die der Wassergeist erhofft? Manchmal höre ich im Keller,
wenn ich im alten Brunnen sitze, dass sich Menschenfrauen und auch
Männer über die Gefährdung der Elemente sorgen, dass
sie die Zerstörung aufhalten wollen und neue Wege suchen.
Wir Wasserfrauen aber leben bei ihnen noch in einem alten Brauch,
wo sich die Menschen von uns erzählen lassen, von "jenen, die
sie Dichter nennen". Inzwischen war der Mond hinter den Hügeln
verschwunden, und der Morgen stieg herauf. Über den alten Kanal
zogen weiße Nebelschleier, in die sich die Wasserfrauen hüllten
und in ihre Flüsse zurückkehrten. Die Sonne kam, und der Geist der Gewässer tauchte ein in den alten Kanal
mit einer leisen, sehr leisen Hoffnung, dass
noch nicht alles verloren sei.
Literatur:
Friedrich De La Motte Fouqué: "Undine"
Jean Giraudoux: "Undine"
Franz Grillparzer: "Melusina"
Eduard Mörike: "Historie von der schönen Lau"
Elfriede Neumann
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