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Abends
ist es am Kanal am schönsten. Da ist das laute Menschenvolk verschwunden.
Hört, wie es überall wispert und surrt, gurgelt und platscht.
Endlich können wir Kanalbewohner unsere eigene Melodie anstimmen.
Früher traf ich mich hier mit meinen Basen, Melusine schwamm
vom Rhein
her, Undine und die schöne Lau kamen aus der Donau. Wir haben
uns dann die
Geschichten unserer unglücklichen Liebschaften erzählt.
Mein Vater war Neptun und meine Mutter eine der namenlosen Wasserfrauen
aus der Nordsee. Sie war sehr froh, als vor 150 Jahren dieser Kanal
gebaut
wurde, denn da hatte ich ein eigenes Zuhause. Und ich konnte mühelos
zur Nordsee und bis ins Schwarze Meer gelangen. Und weiter schwimmen
bis zum Mittelmeer, wo heute noch mein Vater lebt.
Eine meiner Tanten siedelte sich vor 1200 Jahr in dem Kanal an,
den Karl
der Große zu bauen begonnen hatte. Auch dieser Kanal sollte,
wie mein
Kanal, die Nordsee mit dem Schwarzen Meer verbinden. Leider blieb
dies ein
Traum und so lebt sie heute in dem kleinen erhaltenen Wasserstück
bei Graben.
Die Nixe im neuen Europa-Kanal ist eine weitläufige Verwandte,
ziemlich
flippig, ein Technik-Freak, kühl und unnahbar. Na ja, wenn
sie mal 150 Jahre
in ihrem Kanal lebt, wird sie sich auch mit der Natur arrangiert haben.
Im 2. Weltkrieg wurde mein Wasserbett zerstört und beinahe wäre
der ganze
Kanal zugeschüttet worden, und es wären Straßen
darauf angelegt worden.
Heute kann ich nur noch von Neumarkt bis nach Nürnberg schwimmen,
und an
Manchen Stellen muss ich mich durch schmale Rohre zwängen.
An einigen
Stellen schallt unerträglicher Lärm von den Autobahnen
herüber, aber an
anderen Stellen ist es immer noch romantisch.
Ah, da geht ja der Mond auf.
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