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WENDELSTEIN
- KRIEGSZEIT
Aus "Kanalgeschichten" von Karoline
Gebhardt, - aufgeschrieben von Johann Gebhardt.
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Kriegszeit
Unser Vater war im zweiten Weltkrieg eingezogen und wir hörten
lange nichts von ihm. Die Mutter musste alleine für uns Kinder
sorgen. Wir spielten am liebsten am Kanal. Einige andere Kinder, mein
Bruder und ich waren gerade auf dem Kanalweg, als plötzlich ein
Tiefflieger auf uns zuflog und aus allen Rohren in das Wasser feuerte,
so dass es aufspritzte. Wir warfen uns in eine Sandmulde, einige versteckten
sich hinter einem Schuppen. Die rote Schnauze des Jagdbombers, die
da auf uns zukam, werde ich nie in meinem Leben vergessen. Mit ohrenbetäubendem
Lärm donnerte das Flugzeug über uns hinweg, und so schnell
wie es gekommen war, verschwand es auch wieder. Ich habe gehört,
dass auf dem Kanal auch kleinere Kriegsschiffe transportiert wurden.
Es könnte sein, dass der Flieger danach suchte.
Einmal sahen wir an der Kanalbrücke eine große Zahl russischer
Gefangener, oder vielleicht waren es auch Weißrussen, die
zwangsweise im zweiten Weltkrieg ihr Land verlassen mussten, um
hier zu arbeiten. Viele Frauen und Kinder waren dabei. Wir sahen,
wie sie Kartoffeln und Suppe kochten. Nach dem Essen wuschen sie
ihr Blechgeschirr mit Kanalwasser ab und danach badeten sie alle
nackt im Kanal. So etwas hatten wir noch nie gesehen, das war aufregend
für uns Kinder. Unsere Eltern holten uns weg, das sollten wir
nicht sehen.
Am Kanal bei unserem Haus war eine Sandmulde. Die Hühner badeten
dort im Sand und wir Kinder spielten darin. Wir bauten Häuschen,
Burgen und Gru¬ben. Als die Amerikaner einmarschierten, mussten
wir auch fünf Mann einquartieren. Es waren lauter junge Männer.
Ich erinnere mich, dass sie mit den Stiefeln im Bett schliefen. In
unserer Sandmulde hatten sie Stellung bezogen und ihre Maschinengewehre
aufgebaut. Wir haben neben den Amerikanern in unserer Mulde gespielt.
Mein Bruder, damals fünf Jahre alt, war wieder einmal bei den
Amerikanern im Schützengraben dabei, als deutsche Soldaten, die
SS, vom Wald aus zu schießen begannen. Die Amerikaner schossen
zurück, und sie druckten den Kopf meines kleinen Bruders tief
in den Schutzengraben. Dann sahen wir, wie die deutschen Soldaten
mit erhobenen Händen aus dem Wald herauskamen. Einer sah sehr
blass aus, ich sehe ihn noch deutlich vor mir, wie er damals vor uns
stand. Die Amerikaner zerschlugen sein Gewehr an einem Stein. Er wurde
durchsucht, ein Stück Kommissbrot, das er in seiner Tasche hatte,
warfen die Amerikaner unseren Hühnern hin. Meine Mutter, die
auch dazu gekommen war, rief den Amerikanern zu, sie sollten ihm ja
nichts tun, er hätte ja auch nur seine Pflicht getan. Dann wurde
er abgeführt, er tat mir sehr leid.
Einmal ging ich mit meinem kleineren Bruder vom Spielen heim, als
am Kanalweg eine Gruppe Neger entlangkam. Wir hatten in unserem Leben
noch nie Schwarze gesehen und hatten große Angst. Wir wussten
nicht, was wir tun sollten, und so legten wir uns in die Furchen des
kleinen Kartoffelackers, der meiner Tante gehörte und warteten,
bis die Neger an uns vorbeimarschiert waren. Zuhause angekommen, schimpfte
uns unsere Mutter weil wir so dreckig waren: "Ihr schaut ja aus
wie die Neger!
Nach Kriegsende, als die Amerikaner wieder aus den Häusern abgezogen
waren, kamen am Kanal Scharen von Landsern entlang gelaufen, die alle
so schnell wie möglich nach Hause wollten. Jeden Tag strömten
die deutschen Soldaten vorbei, sie waren müde und abgekämpft
und immer sehr hungrig. Unsere Nachbarin, die Frau Ziegler, nahm zwei
Laib Brot, setzte sich unter einen Baum am Kanal, schnitt das Brot
auf und verteilte es an die Heimkehrer, obwohl sie selber so wenig
zu essen hatte. Auch dieses Bild kann ich nicht vergessen, Sie wollte
von den Soldaten erfahren, ob ihr Mann noch am Leben sei. Er kam nicht
mehr zurück.
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